"L'ultima cena" - Das letzte Abendmahl in eindrucksvollen Kunstwerken#
Von Ernst ZentnerZentrales Thema in der christlichen Kunst ist das letzte Beisammensein Jesu mit den zwölf Aposteln vor seiner Kreuzigung. Die Theologen weisen mit dieser im Neuen Testament dargelegten Begebenheit auf das Gedächtnis Christi hin (Segnung von Brot und Wein).
In den ersten nachchristlichen Jahrhunderten entstanden auf, römischen Sarkophagreliefs und Katakombenfresken lediglich Symbole (Brot, Fisch) und Anspielungen auf die "Speisung der Fünftausend" und "Hochzeit zu Kana".
Erste richtige Abbildungen - in Passionszyklen - bot die byzantinische Sakralkunst des frühen 6. Jahrhunderts (Mosaik der Kirche Sant'Apollinare Nuovo, Ravenna; Buchmalerei im "Purpurevangeliar" (Codex purpureus Rossanensis), kleinasiatisch, Diözesanmuseum Rossano, Italien). Sie basierten noch auf dem antiken Gastmahlbild. Damals nahmen die Personen fast liegend ihre Speisen und Getränke ein. Jesus befindet sich auf einem Ehrenplatz an der linken Ecke des von den Jüngern gesäumten halbkreisförmigen Tisches. Als Speisen: Brote und Fische. Nachher - im 7. Jahrhundert — kamen sitzende Tischrunden auf.
Bis um 1000 waren visuelle Wiedergaben noch selten.
Eine frühe Darstellung können wir als Fresko in der Arenakapelle zu Padua sehen (Giotto di Bondone, zwischen 1305 und 1313). Zugleich zeigt es erstmals mit nahezu monumentalen Ausmaßen die Personenrunde in einem (baldachinüberdeckten) Raum.
Im 11. Jahrhundert harrt Jesus in der Mitte der Rückseite des - inzwischen rechteckigen - Tisches; neben den Brotlaiben Trinkgefäße (Kelche); Lieblingsjünger Johannes ruht enger an der Seite Jesu (Relief am mittleren Westportal des Straßburger Münsters, um 1275-80). Schließlich existierte das eigene Motiv der Christus-Johannes-Gruppe (12.-15. Jahrhundert). Kurzzeitig war die Zahl der Apostel gering (fünf Apostel auf dem Relief des Westlettners im Naumburger Dom, um 1250-60).
Vom 15. Jahrhundert an wurde das Passahmahl durch ein Osterlamm angedeutet (Tafelbild des Meister des Speyerer Altars oder Hausbuchmeisters, um 1475-90; Berlin, Staatliche Museen, Gemäldegalerie).
Die Einsetzung des Mahles als Erinnerung an Jesus Christus und besonders die Verratsprophezeiung kulminierten zu dramatischen Ereignissen. Jesus (mit Segensgestus) bleibt unerschütterlicher Ruhepol innerhalb der verschreckten Apostelschar. Judas Ischariot greift in die Schüssel (Purpurevangeliar; Kunstwerke der Ostkirche). Zuweilen entwendet er einen Fisch. Judas sitzt seinem Meister schräg gegenüber, und manchmal nimmt der Verräter eine isolierte Position ein (Perikopenbuch Heinrichs 11., Reichenauer Malerschule, vor 1012; München, Bayerische Staatsbibliothek). Noch im 1. Jahrhundert erhielt er Attribute des Bösen (kleiner Teufel, Vogel, Insekt oder Kröte). Daneben bekam er ein hässliches Aussehen, ein gelbes Gewand und rote Haare. Meistens reicht Jesus seinem Widersacher ein Brotstück. Gegebenenfalls hockt neben Judas ein Hund, der an einem Knochen nagt (so im Gemälde Tizians, 1557-64, Konvent San Lorenzo, Escorial bei Madrid).
Seit dem 14. Jahrhundert erscheint bei der Judasfigur der bekannte Geldbeutel, den sie an der Hüfte verbirgt.
(Tendenzen zu antisemitische Darstellungsarten begannen und sollten die Gläubigen auch entsprechend beeinflussen.)
Während der italienischen Renaissance ergänzte das Abendmahlbild als Meditationsobjekt die Refektorien diverser Sakralbauten (Refektorium = lat. Speisesaal). Zumeist verfertigten die namhaftesten Maler großflächige Wandbilder, die sie entweder mit wissenschaftlich erarbeiteter Perspektive (Andrea del Castagno, um 1450; Castagno-Museum, Sant Apollonia zu Florenz) oder mit allen Einzelheiten und Illusion eines Gartens (Domenico Ghirlandaio, 1480; Kloster Ognissanti, Florenz) ausstatteten.
Das einmalige Renaissancegenie Leonardo da Vinci komponierte ein gewaltiges eigenständiges Abendmahlwandgemälde, welches mittlerweile zu den berühmtesten Kunstwerken der Welt zählt (1495-97, ca. 5 x 9 Meter, Refektorium, Santa Maria delle Grazie, Mailand). Allerdings dürfte sich Leonardo an den Versionen von Castagno und Ghirlandaio Anleihen genommen haben. Nur das Künstlergenie schuf eine eigenständige Fassung, die Weltgeltung erlangen wird:
Leonardo durchbrach das gängige Schema und stellte Judas (Geldbeutel und umgeworfenes Salzfass!) inmitten der aufgeregten - in vier Dreiergruppen angeordneten - Jüngerschar. Die Figur des vollbärtigen Apostels Taddäus könnte ein Selbstbildnis des Künstlers sein. Leonardos Interpretation erwuchs zum Ideal späterer Abendmahlbildwerke.
Der italienische Maler Giampietrino, eigentlich hieß er Giovanni Pietro Rizzoli und ist von 1495 bis 1549 dokumentiert, war ein Vertreter des Leonardo-Kreises. Er half den Stil Leonardos bekannt zu machen. Er schuf auch eine Kopie des Abendmahles (Öl auf Leinwand, 298 x 770 cm, um 1520, The Royal Academy of Arts, London), die auch den ursprünglichen Zustand zeigt.
Leider experimentierte Leonardo mit organische Farben und das Gemälde bekam noch zu seinen Lebzeiten schwere Schäden; wohl auch durch Feuchtigkeit im Mauerwerk. Nahezu 500 Jahre später: Unter Diskussionen in der Fachwelt der Kunsthistoriker wurde das Wandgemälde erfolgreich restauriert (1978 bis 1999) und kann heute nur unter strenge Auflagen und kurzzeitig von Besuchern inspiziert werden.
(Im 20. Jh. inspirierte das Gemälde den US-amerikanischen Thriller-Romancier Dan Brown zu seinem Welterfolg "The Da Vinci Code", 2003 / "Sakrileg" 2004).
Alsbald gedieh das Sujet zum Einzelbild mehrteiliger Flügelaltäre. Manches Bild barg ineinander verschachtelte Szenen des Leidens Christi. So etwa das vom deutschen Maler Jörg Ratgeb kreierte Tafelbild, worin über dem Haupt Jesu, innerhalb einer Arkadenarchitektur, das "Gebet auf dem Ölberg" (seitlich heranmarschierende Häscher) als Vision zu erblicken ist ("Herrenberger Altar" 1518/19; Stuttgart, Staatsgalerie).
Im Verlauf der Reformation enthielten etliche Bildwerke beabsichtige kirchenkritische Botschaften - verschlüsselt in eindringlicher Bildersprache (Streitigkeiten um den Opfergedanken während der Messe bzw. Einsetzung des Abendmahles als Sakrament).
Das eher kaum geläufige "kleine Abendmahl" beschreibt den in Emmaus eingekehrten auferstandenen Christus. Er segnete Brot und Wein, worauf ihn zwei seiner Jünger wiedererkannten. Dieses Thema bestand längst in der frühchristlichen Kunst und gewann erst im Barock als österliches Andachtswerk an Beliebtheit.
Im 19. Jahrhundert geriet das Abendmahlgeschehen in den Alltag bäuerlichen und handwerklich tätigen Menschen. Die Künstler der Moderne orientierten sich an Leonardos Machart und versahen den Gegenstand mit einem übersinnlichen Fluidum. Beispielshalber Salvador Dali, der die Tischgesellschaft vor einem futuristischen Fenster mit Seelandschaft platzierte (1955; Washington, D. C., National Gallery of Art).
Sakralkunstwerke rufen religiöse Inhalte wieder in Erinnerung. Das Abschiedsmahl Jesu leitete als Vorstufe zum Ostergeschehen hin: Auferstehung …
Der Text folgt einem in der "Neuen Wochenschau" vom 5. April 1995 / Nr. 14, auf den Seiten 22 und 59 veröffentlichten Artikel - Das letzte Abendmahl in eindrucksvollen Kunstwerken - Von Ernst Zentner - und wurde behutsam aktualisiert. Die Abbildungen wurden durch farbige Illustrationen ersetzt bzw. ergänzt.
Eine Kopie des letzten Abendmahles von Leonardo ist in der Wiener Minoritenkirche zu sehen:
Quellen
- Abendmahl Jesu, auch letztes Abendmahl/Wikipedia
- Abendmahl, das Letzte/Das grosse Kunstlexikon von P. W. Hartmann
- Der Brockhaus Kunst
- Abendmahl/Karl Möller, Abendmahl, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. I (1933), Sp. 28–44
- "Ecce Homo!" - Die Passion Christi als Gegenstand der bildenden Kunst (Essay)
- Am dritten Tage ... Die Auferstehung im Widerschein der Kunst (Essay)
- Noli me tangere in österlichen Bildwerken (Essay)
Ernst Lanz 2019-2020